Blasenschwäche beim Mann bleit ein Tabuthema

Jeder 5. Mensch ist im Laufe seines Lebens von Blasenschwäche betroffen. Die Hauptrisikofaktoren beim Mann dafür sind zunehmendes Alter und Folgen von Operationen, wie etwa nach einer Entfernung eines Prostatakarzinoms. Psychisch ist Inkontinenz für Männer nach wie vor ein Tabuthema und eine derart große emotionelle Belastung, die zu selbstgewählter sozialer Isolation bis hin zu Suizidgedanken führen kann. Inkontinenz ist jedoch gut behandelbar. Nach einer Prostatakrebsbehandlung helfen etwa Implantate, bei einer Dranginkontinenz Medikamente und Botox-Injektionen. Über diese und weitere Möglichkeiten im Kampf gegen Inkontinenz tauschen sich vom 7. bis 10. September Urologen, Physiotherapeuten, Pflegekräfte und weitere Experten im Austria Center Vienna aus.

„Jeder 5. Mensch ist im Laufe seines Lebens von Blasenschwäche betroffen. Das betrifft Frauen wie Männer gleichermaßen“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Hübner, Koordinator des Fachbeirates im Inkontinenz-Zentrum an der Privatklinik Confraternität und wissenschaftlicher Leiter des heurigen internationalen Inkontinenz-Kongresses der International Continence Society. „Obwohl sich in den letzten Jahren schon einiges getan hat, ist die Endtabuisierung der Inkontinenz, vor allem beim Mann, nach wie vor sehr wichtig. Denn viele leiden – frei nach dem Motto ‚Inkontinenz bringt dich nicht um, aber es raubt dir das Leben‘ – stumm vor sich hin. Sie nehmen die psychische Belastung in Kauf. Wir beobachten leider auch häufig, dass sich betroffene Männer aus Scham zunehmend sozial selbst isolieren, Selbstmordgedanken hegen bzw. bereits aus Angst vor einer möglichen Folgeinkontinenz onkologische Behandlungen hinauszögern oder verweigern. Das muss aber nicht sein, denn Inkontinenz lässt sich gut behandeln. Zudem sind die Behandlungen, die auf die Patienten zukommen, nicht belastend und die Ergebnisse oft so hervorragend, dass das Feedback der therapierten Patienten durch den Rückgewinn an Lebensqualität oft überwältigend positiv ist“, betont er.

Moderne Behandlung von Inkontinenz nach Prostatakarzinom
Das Prostatakarzinom ist die häufigste Krebsart beim Mann. In Österreich geht man derzeit von etwa 4.400 Neudiagnosen pro Jahr aus. Im Zuge der Krebsbehandlung kann auch die Kontinenz gefährdet werden. Das schreckt nach wie vor viele Männer vor einer lebensrettenden Operation ab. Viele fühlen sich auch nach der Operation psychisch belastet, da sie durch die Inkontinenz ständig an ihre Krebserkrankung und durch die Prostatakrebserkrankung an eine mögliche Impotenz erinnert werden. Die gute Nachricht: die Belastungsinkontinenz, die nach einer Operation durch Gewebeverletzungen bei der Entfernung des Prostatakarzinoms entstehen kann, ist gut therapierbar.

„Häufig kommt die Kontinenz nach dem Ausheilen der Wunde – spätestens ein halbes Jahr nach der Operation – natürlich zurück. Jedoch nur bei 5 bis 15 % der Patienten, die eine Prostatakarzinomoperation hinter sich haben, ist der Harnverlust so groß, dass er behandelt werden muss“, so Hübner.

Anders als bei Frauen, die nach Schwangerschaften und Geburten ihre Belastungsinkontinenz meist gut mit Beckenbodentraining in Griff bekommen können, ist die Ursache beim Mann häufig eine Verletzung der glatten Muskulatur, die mit Physiotherapie nicht heilbar ist.

„Um das Problem des Verschlusssystems, das durch die fehlende Prostata entstehen kann, in Griff zu bekommen, gibt es verschiedene Implantate, die den Widerstand auf die Harnröhre erhöhen und somit auch den Blasenschließmuskel regulieren. Die Art des Implantates und die entsprechende Auswahl der OP-Methode richtet sich hier nach der jeweiligen individuellen Situation des Patienten und wird aufgrund der Komplexität häufig in Spezialzentren durchgeführt. Die Zufriedenheitsrate bei den betroffenen Männern nach der Aktivierung des neuen Implantats liegt bei uns bei über 90 %“, erklärt der Urologe.

Die Zukunft der Implantate ist digital
Derzeit werden die diversen Implantate, die den Blasenschließmuskel regulieren, manuell durch das Betätigen einer hydraulischen Pumpe im Körper ausgelöst.

„Die Zukunft der Implantate liegt jedoch in elektronischen Ansätzen. In wenigen Jahren werden die Schließmuskel auch über kleine Fernbedienungen oder übers eigene Handy ausgelöst werden können. Das wird ein weiterer Schritt sein, um den Patienten das Leben zu erleichtern“, betont Hübner.

Risikofaktor Alter für Dranginkontinenz
Anders als bei der Belastungsinkontinenz, die v.a. nach diversen Operationen auftreten kann, können Männer auch an einer Dranginkontinenz bzw. überaktiven Blase leiden. Dabei kommt es zu einem geradezu überfallsartig auftretenden starkem Harndrang. Betroffene schaffen es dann nicht mehr rechtzeitig auf die Toilette.

„Während nur 5 % der Männer zwischen 30-40 Jahren davon betroffen sind, steigt das Risiko daran zu leiden mit zunehmendem Alter an und liegt bei Männern zwischen 60-69 Jahren schon bei 20-25 %. Neuartige Medikamente, die ca. 1,5 Stunden vor bestimmten Aktivitäten, bei denen nicht sofort eine Toilette in der Nähe ist, wie einem Ausflug, einer Busfahrt, einer Flugreise oder einem Kinobesuch eingenommen werden, schaffen hier temporär Abhilfe. Langfristig sind bei älteren Menschen Botox-Behandlungen, bei denen Botox in die Blasenwand gespritzt wird, sehr effizient“, erklärt Hübner.

Diese haben den Effekt, dass die Blase gedämpft wird und die Symptome einer überaktiven Blase nach 2 bis 4 Wochen für 6 Monate verschwinden.

Über die International Continence Society
Die International Continence Society setzt sich mit dem jährlichen Kongress, der heuer vom 7. bis 10. September im Austria Center Vienna stattfindet, sowie ihren ICS Journalen für die weltweite multidisziplinäre Kontinenzforschung und -ausbildung ein. Eine wichtige nationale Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige ist die medizinische Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ).