Heute wurde eine neue Fassung der Leitlinie Neurologische Manifestationen bei COVID-19 publiziert, und zwar erstmal als S2k-Leitlinie. Zehn verschiedene Fachgesellschaften haben daran mitgearbeitet und den aktuelle Wissenstand zum Thema zusammengetragen. Ein Kapitel der Leitlinie widmet sich dem Post-COVID-Syndrom und bezieht Stellung zu immunmodulatorischen Therapien. Dazu gehören auch Aphereseverfahren, die derzeit ein hohes Medienecho erfahren. Außerdem empfiehlt die Leitlinie eine psychosomatische Mitbehandlung der Betroffenen, was immer wieder zu emotional aufgeladenen Diskussionen führt. Für diese Therapieempfehlung gibt es aber durchaus eine Rationale.
Im August 2020 erschien bereits ein halbes Jahr nach Ausbruch der Pandemie die Erstveröffentlichung der DGN-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der „Neurologischen Manifestationen bei COVID-19“, im Dezember 2021 erfolgte eine umfassende Aktualisierung. Die bisherige S1-Leitlinie, die als „Living Guideline“ angelegt wurde, um die zahlreichen Publikationen und neuen Erkenntnisse schnell implementieren zu können, erfuhr nun ein Upgrade zur S2k-Leitlinie. Das „k“ steht für Konsens, d.h. jede Empfehlung wurde im Rahmen einer strukturierten Konsensfindung unter neutraler Moderation von den Vertreterinnen/Vertretern der beteiligten Fachgesellschaften diskutiert und abgestimmt.
Beteiligt waren neben der DGN als federführenden Gesellschaft die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), die Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR), Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V., die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN), Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) e. V., die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e. V. (GTH), die Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI), die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. (DGHNO-KHC) und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ).
Leitlinienkoordinator Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Berlin, betont die Wichtigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit bei dieser Leitlinie:
Die Leitlinie gibt Handlungsempfehlungen für die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion hinsichtlich neurologischer Manifestationen, von neurologisch Erkrankten mit und ohne SARS-CoV-2-Infektion, von Betroffenen mit Post-COVID-Syndrom sowie für den Umgang mit möglichen Impfkomplikationen der SARS-CoV-2-Impfung. Die Leitlinie bildet den aktuellen Wissensstand zu all diesen Aspekten ab.
Insbesondere das Kapitel „Neurologische Manifestationen bei Post-COVID-19-Syndrom“ der neuen Leitlinie wird auf ein breites Interesse stoßen, nicht zuletzt, weil Mitte August eine Folge von „Hirschhausen“ in der ARD das Thema Long-COVID und mögliche Heilversuche erneut in den Fokus des öffentlichen Interesses rückte und eine Lanze für Apheresebehandlungen, allem voran die Lipidapherese, brach. Fakt ist aber: Die genauen pathophysiologischen Mechanismen des Post-COVID-19-Syndroms sind bislang noch unbekannt. Diskutiert werden Neurotransmittervermittelte Veränderungen, eine postinfektiös fortbestehende Entzündung sowie (virusgetriggerte) immunvermittelte Mechanismen. Wenn Hinweise auf einen autoimmunologischen Erkrankungsmechanismus bestehen (z.B. bestimmte Autoantikörper im Blut nachgewiesen werden), kann eine immunmodulatorische Therapie als individueller Heilversuch begonnen werden – so lautet die Empfehlung der Leitlinie.
Des Weiteren empfiehlt die Leitlinie eine frühzeitige und parallelisiert eingeleitete psychosomatische Mitbehandlung der Betroffenen.