Immer mehr Kinder und Jugendliche erhalten die Diagnose Diabetes

Wie gehen Sie dabei methodisch vor?

Dr. Kathrin Landgraf: Im Sonderforschungsbereich 1052 kombinieren wir verschiedene Patientenkohorten miteinander, die im Zusammenhang mit Adipositas, aber auch mit Begleiterscheinungen wie Diabetes stehen. Wir nutzen zum Beispiel eine klinische Kohorte von Kindern mit und ohne Übergewicht, von denen wir Fettgewebsproben aus Routine-OPs bekommen. Diese Kohorte ist einzigartig in Bezug auf die Anzahl der bereits verfügbaren Proben und wie wir diese Proben im Labor auf funktioneller Ebene charakterisieren. Untersuchungen in dieser Kohorte haben gezeigt, dass das Adipositasgen TMEM18 mit bestimmten Fettgewebseigenschaften zusammenhängt, die eine Entstehung von Typ 2 Diabetes begünstigen. In Laborexperimenten an Zellkulturen und im Tiermodell ist es uns gelungen, den zugrundeliegenden molekularen Mechanismus aufzuklären.

Dr. Robert Stein: Wir haben in Leipzig das Glück, große Stichproben von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Übergewicht wissenschaftlich untersuchen zu können. Diese Kohorten wurden über viele Jahre zusammengetragen, beispielsweise über die Adipositas-Sprechstunde der Kinderklinik und die LIFE Child Studie, aber sie werden auch beständig weiterentwickelt und in ihrem Verlauf weiterverfolgt. Hierfür kooperieren wir beispielsweise mit dem Helmholtz-Institut (HI-MAG) in Leipzig. Wir können dann in diesen Kohorten nach Mustern und Auffälligkeiten suchen, also nach bestimmten Gruppen, die sich anhand ihrer Daten unterscheiden von den Gesunden. Dann versuchen wir herauszufinden, was diese Unterschiede verursacht. Da stehen uns in der Forschung verschiedene Werkzeuge zur Verfügung, zum Beispiel suchen wir im Blut nach verschiedenen Biomarker. Wir haben Fettgewebsproben oder auch genetische Proben, wie von Dr. Landgraf angeführt, die wir untersuchen. Und wir können soziale und Umweltfaktoren einbeziehen, die uns, meist durch Befragungen der Teilnehmer, zur Verfügung stehen. So versuchen wir, dass extrem komplexe Puzzle der Erkrankung zu rekonstruieren.

Wohin geht die Entwicklung bei den Erkrankungen?

Dr. Robert Stein: Leider stellen wir fest, dass immer mehr Kinder und Jugendliche die Diagnose Diabetes Typ 2 erhalten und dies in vielen Ländern, weltweit. Diese Erkrankungsform tauchte bisher vorwiegend bei Erwachsenen auf, die sogenannte Erkrankung des Wohlstandes. Das gibt uns zu denken. Diabetes Typ 2 tritt bei Kindern meist in der Pubertät auf. Dies ist eine sensible Phase, weil auch bei den meisten gesunden Kindern kurzzeitig die Insulinresistenz steigt. Alarmierend ist hierbei, dass betroffene Kinder und Jugendliche mit Typ 2 Diabetes in der Regel einen schwereren Verlauf als Erwachsene erleben. Hier müssen wir auf der Hut sein, und möglichst frühzeitig diejenigen mit dem höchsten Risiko erkennen.

Wird Diabetes in der Zukunft heilbar sein, wenn die Krankheit besser verstanden ist?

Dr. Robert Stein: In der Forschung gibt es sehr vielversprechende Ansätze. Am wichtigsten halte ich die Prävention, insbesondere die Adipositas-Prävention, denn wir wissen, dass Typ II Diabetes im Kindesalter häufig noch reversibel ist, wenn man die Adipositas in den Griff bekommt. Wir brauchen gute Programme, die auch auf gesellschaftlicher Ebene greifen. Aber jeder Einzelne kann natürlich auch unabhängig davon schon frühzeitig seinen Beitrag leisten, beispielsweise mit gesunder Ernährung und ausreichendem Sport. Damit sind auch die kleinen Alltagsaktivitäten gemeint: Nehme ich lieber die Treppe als den Fahrstuhl, fahre mit dem Rad zur Arbeit anstelle das Auto zu nehmen. Die Idee, eine Zucker- und Fettsteuer einzuführen, fände ich auch interessant. Eine komplette Heilung anzunehmen, ist dennoch sehr optimistisch, denn Adipositas ist eine chronische Erkrankung. Der Körper sträubt sich gegen eine Gewichtsabnahme, das macht es auch so schwer, Adipositas dauerhaft zu behandeln. Im Moment haben wir die Lebensstilinterventionen als Instrument, die zum Teil Erfolge bringen, aber jedoch nicht immer das Ergebnis, was wir uns wünschen. In Ausnahmefällen greifen wir auch bei Kindern und Jugendlichen bereits auf Magen-Verkleinerungen zurück. Es gibt aber auch zum Beispiel Therapieansätze wie neue Medikamente, die auf das Sättigungsgefühl einwirken und so eine Gewichtsreduktion begünstigen. Dies ist aktuell jedoch nur für seltene genetisch-bedingte Adipositas-Formen in Erprobung und nicht für die Allgemeinheit gedacht. Auch für die Diabetes-Therapie werden aktuell neue Medikamente entwickelt, welche neben einer besseren Blutzuckerkontrolle auch das Gewicht günstig beeinflussen können. Das heißt, wir werden die Erkrankung wahrscheinlich zukünftig nicht heilen, aber dennoch besser therapieren können.

Dr. Kathrin Landgraf: Ich stimme Dr. Stein zu, ein Schlüssel zur Regulierung von Adipositas und dem damit verbundenen Risiko für die Ausbildung von Typ II Diabetes liegt in der Prävention. Darüber hinaus ist ein Verständnis der physiologischen Mechanismen, welche im Körper während der Anhäufung von Fettgewebe ablaufen und welche zur Entstehung von Diabetes beitragen, von entscheidender Bedeutung. Dies könnte zum einen dazu beitragen, das individuelle Risiko für Adipositas und Diabetes besser einschätzen zu können und zum anderen zur Entwicklung von neuen Therapiestrategien beitragen.