„Die Lockdowns sind vorbei, die psychischen Belastungen bei jungen Menschen gehen weiter“

Die UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 sichert jedem Kind universelle Rechte zu – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder sozialem Status. Doch wie steht es um diese Rechte in Deutschland angesichts andauernder Krisen?

„In der Bundesrepublik werden die Kinderrechte jeden Tag missachtet. Gerade seit Corona wird das Recht junger Menschen auf Gesundheit massiv eingeschränkt, insbesondere im Bereich der psychischen Gesundheit“, erklärt Prof. Dr. Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf e.V. anlässlich des Tages der Kinderrechte.

Konkret bemängelt Schutter die zu langen Wartezeiten auf Therapieplätze:

„Die psychischen Belastungen haben bei jungen Menschen stark zugenommen. Ein Jahr auf Hilfe warten zu müssen hat für Kinder und Jugendliche viel gravierendere Konsequenzen als für Erwachsene“.

Auch das Selbstbestimmungsrecht von Minderjährigen werde im Bereich mentaler Gesundheit nicht umgesetzt, für eine Psychotherapie brauchen Kinder und Jugendliche aktuell die Zustimmung ihrer Erziehungsberechtigten. Das führe gerade für junge Menschen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe zu massiven Problemen. Dies bestätigt auch die 19-jährige Vanessa, die selbst in einem SOS-Kinderdorf lebt:

„Das Selbstbestimmungsrecht ist speziell für Kinder in stationärer Erziehung entscheidend. Wenn die leiblichen Eltern einer Therapie nicht zustimmen, bedeutet das eine zusätzliche Belastung für junge Menschen.“

Auch die Stiftung Kindergesundheit stellt in ihrem aktuellen Kindergesundheitsbericht fest, dass das in Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention verbriefte Recht auf Gesundheit in Deutschland täglich verletzt werde. Die pädiatrische und kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Kliniken und Praxen ist nur unzureichend gewährleistet, der Fachkräftemangel sowohl im ärztlichen als auch im pflegerischen Bereich verschärfe die Situation:

„Die Versorgungsengpässe von jungen Menschen mit psychischen Problemen haben sich seit Corona noch einmal deutlich zugespitzt, weil es einfach mehr Kinder und Jugendliche gibt, die Hilfe brauchen“, sagt Priv.-Doz. Dr. med. Katharina Bühren, Vorstandsmitglied der Stiftung Kindergesundheit und ärztliche Direktorin am kbo-Heckscher-Klinikum für Kinder- und Jugendpsychiatrie in München und ergänzt: „Wir brauchen eine Vernetzung der Hilfesysteme: Jugendhilfe, Schulsozialarbeit, Schulpsychologie und die medizinischen Hilfsangebote. Wir müssen uns alle zusammenschließen und alles daransetzen, dass junge Menschen mit psychischen Problemen nicht zu chronisch Kranken werden.“

Weitere Empfehlungen von SOS-Kinderdorf und der Stiftung Kindergesundheit zur Stärkung des Rechts auf Gesundheit von Kindern und Jugendlichen:

  • Förderung dauerhafter psychosozialer, psychotherapeutischer und psychiatrischer Angebote mit niedrigschwelliger schulischer Anbindung sowie erweiterter Jugendhilfemaßnahmen in besonders belasteten Wohnquartieren.
  • Ausbau evidenzbasierter Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Therapie psychischer Störungen des Kindes- und Jugendalters, um eine weitere Verbesserung des Behandlungserfolges bei psychischen Erkrankungen zu erreichen.
  • Lehre aus der Pandemie: Offenhalten von Bildungseinrichtungen/Kindertagesstätten unter Berücksichtigung geeigneter Schutzmaßnahmen. Schließungen dürfen nur dann in Betracht gezogen werden, wenn alle anderen Maßnahmen der Kontaktbeschränkung nicht erfolgreich waren.
  • Einführung eines Schulfachs Gesundheit zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen. Dieses sollte auch die Förderung von Resilienz zum Ziel haben und das Erlernen von Strategien im Umgang mit Stress vermitteln. Hierdurch kann für alle Schüler*innen eine präventive Maßnahme zur Verringerung psychischer Erkrankungen geschaffen werden.
  • Selbstbestimmungsrecht ab 14 Jahren – Kinder und Jugendliche sollten ab 14 Jahren selber entscheiden dürfen, ob sie einer psychotherapeutischen Behandlung bedürfen, auch ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten