Wie krank sind unsere Krankenhäuser?

2022 war alles andere als ein gutes Jahr für Deutschlands Kliniken. Doch es könnte noch schlimmer kommen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt vor einer Pleitewelle. Ist sie noch aufzuhalten? Kann die Krankenhausreform, die das Bundesgesundheitsministerium plant, eine Trendwende bewirken? Das wäre dringend nötig, sagt der Gesundheitsexperte Frank Rudolph. Doch mit staatlichem Dirigismus seien die Probleme nicht zu lösen.

Ist die Lage tatsächlich so besorgniserregend?

Die Warnung des DKG-Vorstandsvorsitzenden Gerald Gaß muss sehr ernst genommen werden. Wie es aussieht, ist die Welle von Klinik-Pleiten bereits angerollt. Ein Beispiele dafür sind die Imland Kliniken in Schleswig-Holstein mit Standorten in Eckernförde und Rendsburg. Es ist beunruhigend, dass medizinische Einrichtungen, die für die Versorgung der Bevölkerung so wichtig sind, kurz vor Weihnachten keine andere Wahl hatten, als ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Weitere Häuser dürften folgen. Da braucht man sich bloß mal das Krankenhaus-Barometer des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) anzuschauen: Fast 60 Prozent der Kliniken schreiben für 2022 rote Zahlen. Im Jahr davor waren es noch 43 Prozent. Der Anteil der Krankenhäuser mit einem positiven Jahresergebnis sinkt diesen Angaben zufolge wahrscheinlich von 44 auf nur noch 20 Prozent. Das dürfte vielen Verantwortlichen in deutschen Kliniken schlaflose Nächte bereiten.

Was sind die Ursachen?

Wir haben es mit einem Bündel von Problemen zu tun. Einerseits geht es um die Folgen von Versäumnissen in der Gesundheitspolitik verschiedener früherer Regierungen. Die haben sich im Laufe der Jahre verschärft, weil sie nicht grundsätzlich angegangen wurden. Dann kam der 31. Dezember 2019 – der Tag, an dem der Ausbruch einer neuen Atemwegserkrankung mit seinerzeit noch unbekannter Ursache in China bestätigt wurde. Danach ging es Schlag auf Schlag: Corona-Pandemie, Überforderung der Krankenhäuser, insbesondere im Pflegebereich. Die ganze Pflegemisere – mit unterbezahlten und überlasteten Fachkräften – wurde offensichtlich. Viele von ihnen suchten sich andere Jobs. Bald fehlten in den Krankenhäusern Zehntausende. Eine Folge: Weil Kapazitäten zur Pflege frisch operierter Patienten wegbrachen, mussten unzählige Operationen verschoben oder gar abgesagt werden – den Krankenhäusern brachen Einnahmen in Millionenhöhe weg.

Und das Licht, das wir Anfang 2022 am Ende des Tunnels sahen, leuchtete nicht lange…

Genauer gesagt: nur bis zum 24. Februar, dann begann Russlands Überfall auf die Ukraine. Eine „Zeitenwende“, die unter anderem dazu führte, dass auch für die Krankenhäuser die Energiekosten explosionsartig anstiegen. Was übrigens von der Regierung viel zu lange ignoriert wurde. Es gab im Zuge von Scholz‘ „Doppel-Wumms“ in Höhe von 200 Milliarden Euro zwar Finanzhilfen für Unternehmen und Haushalte, aber das Gesundheitswesen schien man irgendwie vergessen zu haben. Für die Krankenhäuser wurden erst Mittel zugesagt, als viele schon die Pleite vor Augen hatten und warnten, dass die OP-Säle nicht mehr beheizt werden können. Krankenhäuser müssen eine Steigerung ihrer Energiekosten um das drei- bis vierfache verkraften. Hinzu kommen gestiegene Personalkosten in allen Bereichen.

Hat das Bundesgesundheitsministerium darauf angemessen reagiert, reichen die Notmaßnahmen zur Finanzstabilisierung der Krankenhäuser aus?

Das sorgt für eine gewisse Erleichterung, löst aber das Grundproblem nicht. Nach allem, was ich aus den Krankenhäusern höre, reicht das, was sie gegenüber den Krankenkassen abrechnen dürfen, in vielen Fällen nicht aus, um die Kostensteigerungen aufzufangen. Das starre System der Fallpauschalen – an dessen Einführung Karl Lauterbach seinerzeit als SPD-Gesundheitspolitiker maßgeblich beteiligt war – sorgt dafür, dass für Behandlungen fixe Pauschalen abgerechnet werden können, ohne dass preisliche Anpassungen aufgrund steigender Kosten möglich wären. Handwerker, Handel, Produzenten – alle können irgendwie ihre gestiegenen Kosten in gewissem Umfang weitergeben, aber Krankenhäuser können das eben nicht so ohne weiteres, sondern sind darauf angewiesen, dass Fallpauschalen angehoben werden. Und das geschieht nicht in dem erforderlichen Umfang.

Nennen Sie bitte ein Beispiel, wie stellt sich das Problem konkret dar?

Nehmen wir den Anstieg von Notfallbehandlungen. Angesichts von überfüllten Wartezimmern bei den Hausärzten gehen viel mehr Patienten als früher in die Notaufnahmen der Krankenhäuser. Die Pauschalen, die Kliniken für Notfallpatienten bekommen, liegen aber längst schon unter ihren realen Kosten. Der Druck auf die Notaufnahmen wurde noch erhöht durch die Fluchtbewegungen seit 2015. Viele der Geflüchteten kennen das System mit niedergelassenen Ärzten, wie es bei uns üblich ist, aus ihren Herkunftsländern kaum. Die erste Anlaufstelle ist für sie das Krankenhaus, weil das so ihren Erfahrungen entspricht. Auch das trägt zu den erheblichen Problemen in den Notaufnahmen bei; man darf die Augen nicht davor verschließen. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.

Abgesehen von den laufenden Kosten müssen Krankenhäuser viel Geld investieren, um medizinisch-technisch auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Da sind die Bundesländer gesetzlich in der Pflicht, aber werden sie ihrer Verantwortung auch gerecht?

Leider nicht überall. Es gibt positive Ausnahmen wie Hamburg. Aber vielen Krankenhäusern in anderen Bundesländern werden die Investitionskosten schon seit Jahren nicht mehr in der tatsächlichen anfallenden Höhe finanziert. Laut Krankenhaus-Barometer lag die Investitionssumme der Häuser 2021 bei insgesamt 6,8 Milliarden Euro. Aber nur 47 Prozent stammten aus öffentlichen Fördermitteln. Krankenhäuser müssen einen Großteil der notwendigen Investitionen irgendwie selbst aufbringen. Da werden dann Schulden gemacht, weil die Eigenmittel längst nicht mehr für Investitionen ausreichen. Manchmal springen Mäzene ein – wie der SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp in Heidelberg -, die etliche Millionen spenden, damit Krankenhäuser Modernisierungen und Erweiterungen bezahlen können.

Auf den Krankenhäusern lastet also weiterhin ein erheblicher wirtschaftlicher Druck. Aber nun stellt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine große Krankenhausreform in Aussicht, bei der die Medizin sehr deutlich Vorrang vor der Ökonomie bekommen soll. Kann das so funktionieren, wie er sich das vorstellt?

Natürlich sollten notwendige medizinische Behandlungen immer auf dem höchstmöglichen Niveau erfolgen und nicht durch wirtschaftliche Zwänge beeinträchtigt werden. Aber klar ist auch, dass Krankenhäuser in der Lage sein müssen, zumindest kostendeckend zu arbeiten sowie nach Möglichkeit auch schwarze Zahlen zu schreiben. Das gilt für staatliche ebenso wie für private Häuser. Um das zu gewährleisten, sind strukturelle Reformen notwendig. Dazu hat die von Karl Lauterbach berufene Expertenkommission durchaus einige vernünftige Maßnahmen vorgeschlagen.

Das ist zwar nicht alles neu. Vieles hat Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) mit der 2022 angegangenen Krankenhausplanung für Nordrhein-Westfalen vorgemacht. Aber es ist richtig, den Weg einer stärkeren Spezialisierung zu gehen. Nicht jedes Krankenhaus muss jede Leistung vorhalten. Die vorgeschlagene Einteilung der Häuser in drei Stufen scheint mir sinnvoll zu sein. Da werden Patienten für bestimmte komplizierte Operationen auch mal längere Wege in spezialisierten Zentren Kauf nehmen müssen. Dafür können sie sich dann auch darauf verlassen, dass ihnen die bestmögliche
Behandlungsqualität geboten wird. Es muss Schluss damit gemacht werden, dass in manchen Krankenhäusern alle möglichen Operationen vorgenommen werden, damit Geld in Form von Fallpauschalen in die Kasse kommt, selbst wenn das Personal eigentlich nicht ausreichend spezialisiert ist.

Das System der Fallpauschalen soll nun reformiert werden, geht das in die richtige Richtung?

Es hat sich gezeigt, dass mit den Fallpauschalen falsche Anreize gesetzt werden. War wirklich jede Knieprothese medizinisch erforderlich oder wurde sie mit Blick auf die Pauschale, die man dafür bekommen kann, für notwendig erklärt? Nun sollen die Fallpauschalen abgesenkt werden und zum Ausgleich soll es Vorhaltepauschalen für Personalkosten und die notwendige Medizintechnik etc. geben. Mit der merkwürdigen Begründung, die Feuerwehr werde ja auch nicht nur bezahlt, wenn sie einen Brand löschen soll.

Sie befürchten, dass das eine Milchmädchenrechnung ist?

Schauen wir uns das mal an: Wenn es bisher für eine bestimmte OP 1.000 Euro gab und künftig nur noch 500 Euro geben soll, dafür aber 500 Euro in eine Vorhaltepauschale fließen, dann sind das am Ende immer noch nur 1.000 Euro. Das Problem ist, dass eine gründliche Reform nicht zum Nulltarif zu haben ist. Wie immer das Verhältnis von Fallpauschalen zu Vorhaltepauschalen gestaltet wird, funktionieren kann das am Ende nur, wenn insgesamt mehr Mittel in das System fließen. Geld aus der linken in die rechte Tasche zu stecken oder umgekehrt, führt nicht zur Geldvermehrung. Eine Umverteilung des Mangels löst kein Problem.

Herr Lauterbach sagt, er wolle noch „kein Preisschild“ an die Krankenhausreform hängen…
Ich habe Verständnis dafür, dass sich noch nicht sagen lässt, was eines Tages genau unterm Strich stehen wird. Aber eine Aussage kann man von dem Minister jetzt schon erwarten. Nämlich, dass künftig mehr Geld zur Verfügung stehen muss. Die Botschaft sollte lauten: Ja, es wird sich etwas in der Zusammensetzung der Vergütung von Leistungen ändern, um mehr Effektivität zu erreichen und die Bedürfnisse der Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, aber in der Summe wird in jedem Fall mehr Geld gebraucht. Das wäre eine klare Ansage.

Kann es sein, dass der Minister die Rechnung ohne den Wirt macht? Letzten Endes ist die Krankenhausplanung bekanntlich Ländersache. Glauben Sie, dass tatsächlich bis zum Sommer ein abgestimmter Gesetzentwurf für die Krankenhausreform vorliegen wird?

Da bin ich skeptisch. Jedenfalls werden die Länder nur mitziehen, wenn klar ist, dass ihnen die jeweilige Krankenhausstruktur nicht von Berlin aus vorgeschrieben wird. Der Vorschlag einer Aufteilung des stationären Sektors in drei Versorgungsstufen ist zwar nachvollziehbar – also in wohnortnahe Kliniken zur Grund- und Notfallversorgung, Häuser mit erweiterten Leistungen und „Maximalversorger“ wie Unikliniken. Es kann aber nicht angehen, dass zentral vorgeschrieben wird, wie die Klinikstruktur konkret auszusehen hat, welche Leistungen wo zu erbringen oder eben nicht zu erbringen sind und welches Personal und welche Mittel dafür eingesetzt werden dürfen. Das wäre staatlicher Dirigismus, der nur Schaden anrichtet. Wie so etwas funktioniert beziehungsweise eben nicht funktioniert, kann man sich beim staatlichen Gesundheitsdienst NHS in Großbritannien anschauen. Thomas Lemke, der Chef des Klinik-Betreibers Sana und Vize-Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, warnt zu Recht, dass dieser Weg „direkt in den Klinik-Sozialismus“ führt. Da sollten wir wachsam sein, denn Karl Lauterbach ist schon immer ein Freund von Staatsmedizin gewesen.

Bitte ein Fazit: Wie krank sind unsere Krankenhäuser? Sind sie mit Hilfe der auf dem Tisch liegenden Reformvorschläge noch zu retten?

Deutschlands Krankenhaussystem steckt in einer schweren Krise. Es ist aber noch zu retten, wenn wir aufhören, nur Symptome zu lindern und uns endlich zu einer umfangreichen Operation entschließen. Dabei muss rein sachbezogen vorgegangen werden. Ideologisch motivierte Ansätze haben in diesem Operationssaal nichts zu suchen. Wenn sich alle Beteiligten daran halten, ihr ganzes fachliches Können einbringen und zu sachlich vertretbaren Kompromissen bereit sind, bestehen gute Heilungschancen. Aber auch nur dann.

Frank Rudolph (Jahrgang 1960) ist mit der Kalkulation und Abrechnung medizinischer Leistungen seit vielen Jahren vertraut. Als Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. (BVVG) kennt er die Folgen gesundheitspolitischer Weichenstellungen in Bund und Ländern für die medizinische Versorgung der Bevölkerung – insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses von Kosten und Nutzen. Der in Essen geborene Betriebswirt ist Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. Von 2007 bis 2013 war Rudolph Mitglied der Bundeskommission Gesundheit. Seit 2007 ist er 1. stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU NRW.