Inflation, wachsende Armut, die Versorgung von Geflüchteten – das deutsche Gesundheitssystem ist den aktuellen Herausforderungen nicht gewachsen. Davor warnt eine zivilgesellschaftliche Allianz anlässlich des heutigen Welttags der allgemeinen Gesundheitsversorgung.
Die Bundesregierung muss zügig Maßnahmen ergreifen, um Gesundheitsversorgung für alle Menschen in Deutschland zu gewährleisten und diskriminierende Hürden abzubauen. Das fordern die NGO Ärzte der Welt, die Diakonie Deutschland und die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gemeinsam mit der neu gegründeten Bundesarbeitsgemeinschaft Anonymer Krankenschein- und Clearingstellen (BACK).
„Deutschland stellt sich als Musterbeispiel dar, aber immer noch können Hunderttausende notwendige medizinische Leistungen nicht in Anspruch nehmen“, kritisiert Robert Limmer von der Clearingstelle München.
Mitarbeitende in Anlaufstellen für Menschen ohne Krankenversicherung erleben täglich die Auswirkungen der zahlreichen Barrieren:
„Ich habe zum Beispiel schwangere Frauen beraten, die erst kurz vor der Geburt das erste Mal von einer Gynäkologin untersucht wurden. Diese Situation birgt eine große Gefahr für Mutter und Kind“, sagt Nele Wilk von der Clearingstelle Rheinland-Pfalz.
Häufig suchen Geflüchtete, Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus sowie erwerbslose oder prekär beschäftigte Menschen aus andern EU-Ländern Unterstützung bei den Anlaufstellen. Aber auch zahlreiche deutsche Staatsbürger/innen, die sich vor allem die Beiträge der privaten Krankenversicherung nicht mehr leisten können, sind darunter.
Offizielle Daten, wer in Deutschland nicht krankenversichert ist, sind unzureichend. Zum besseren Verständnis des Problems will Ärzte der Welt mit seinem heute erscheinenden Gesundheitsreport beitragen.
„60 Prozent der Patient/innen haben angegeben, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten darauf verzichtet haben, eine Arztpraxis oder Klinik aufzusuchen, obwohl sie krank waren. Bei obdachlosen Patient/innen waren das über 80 Prozent“, sagt Ärzte der Welt-Referentin Janina Gach.
Zahlreiche ehrenamtlich getragene medizinische Versorgungsprojekte sowie von Kommunen und Ländern eingerichtete Clearingstellen versuchen, die klaffende Lücke im deutschen Gesundheitssystem notdürftig zu schließen. Doch sie arbeiten am Rande ihrer Kapazitäten.
„Jeder Mensch muss sich darauf verlassen können, dass er Zugang zu medizinischer Versorgung bekommt. Gesundheit ist ein Menschenrecht und das muss in Deutschland für alle hier lebenden Menschen gelten – ohne Einschränkungen“, sagt Maike Grube, Referentin bei der Diakonie Deutschland.
Angesichts der sich zuspitzenden Lage fordern die Organisationen und Verbände die Bundesregierung auf, endlich zu handeln, und folgende Maßnahmen zu ergreifen:
- Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung abschaffen, Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung für alle
- Mindestbeitragssatz zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung für einkommensschwache Personengruppen senken
- Übermittlungspflicht nach § 87 Aufenthaltsgesetz abschaffen
- EU-Bürger/innen im Bezug von Sozialleistungen gleichbehandeln und Leistungsausschluss abschaffen
- Umfassende, barrierearme Gesundheitsversorgung für Geflüchtete
- Bürokratische Hürden beim Zugang zu gesundheitlicher Versorgung abschaffen, barrierearme Informationen bereitstellen
- Recht auf professionelle Sprachmittlung im Gesundheitssystem und Finanzierung dieser
- Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung im Gesundheitswesen und bei Behörden
Solange der diskriminierungsfreie Zugang nicht für alle gesichert ist:
- Clearingstellen einrichten und finanzieren
- Finanzierungsmöglichkeiten medizinischer Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherungsschutz einrichten