Hilfsmittelversorgung auf dem Prüfstand

„An die Entscheidungsträger in der Welt: Bitte versteht endlich, was wir tun. Wir versorgen Menschen. Da kommt es auf die Qualität an, nicht auf den Preis. Wir alle tragen eine große Verantwortung“, so Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), bei der heutigen Eröffnungsveranstaltung der OTWorld.connect. Reuter betonte zudem, dass die Schwächen des Gesundheitssystems aufgefangen werden mussten, um die Schwächsten zu schützen: Menschen mit Handicap. Als derzeit weltgrößter digitaler Kongress für konservativ-technische Medizin ist die OTWorld.connect der Treffpunkt, wo die Branche den fachlichen Austausch über aktuelle Herausforderungen und Innovationen sucht.
Mit dem branchenpolitischen Forum bietet der BIV-OT auf der OTWorld.connect den nötigen Raum für Diskussionen, in denen die Orthopädietechnik im Fokus steht. Den Auftakt des branchenpolitischen Forums machte heute die Podiumsdiskussion „Das neue Normal: Versorgungsqualität nach Corona“. Zur Diskussion standen die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Zukunft der Hilfsmittelversorgung und die Krisentauglichkeit des deutschen Gesundheitssystems. Die Moderation übernahm Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung e.V. (DGIHV). Seine Gesprächspartner waren: Alf Reuter, Prof. Dr. Andreas Crusius (Präsident, Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern), Jürgen Gold (Vorstandsvorsitzender, Eurocom), Gernot Kiefer (stellvertretender Vorstandsvorsitzender, GKV-Spitzenverband) sowie Dr. med. Dietmar Rohland (Geschäftsbereichsleiter, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen).
Versorgungsqualität, Systemrelevanz und persönliche Schutzausrüstung (PSA) waren die dominierenden Themen unter den Diskutanten. Laut Rohland sei die pandemische Lage ausgesprochen problematisch: „Wir treffen auf eine Situation in Zusammenhang mit dem Virus, wo im weitestgehenden Sinne personelle Kontakte gemieden werden sollen. Gleichzeitig stellt aber die Hilfsmittelversorgung eine zumeist individuelle Versorgung dar“. Es sei ein schwieriger Spagat. Außerdem war Rohland wichtig, dass der komplette Pflegebereich nicht unterschätzt werde. Auch Reuter setzte sich für den Erhalt von PSA ein und legte besonderen Wert auf die Systemrelevanz von Leistungserbringern: „Wir gehören zum GKV-System, aber wir werden nicht im System wahrgenommen. Das heißt, wir sind auch nicht als systemrelevant eingestuft. Wir haben keine Zuteilung bekommen für PSA, teilweise wurden die Unternehmen geschlossen, unsere Mitarbeiter wurden nicht ins Unternehmen gelassen, wir sind nicht in die Einrichtungen gekommen. Wir bezahlen unsere PSA und den persönlichen Schutz für unsere Patienten selbst. Wir kaufen diese Dinge zu einem extrem überteuerten Preis.“ Gleichzeitig gibt er zu bedenken: „Das gleiche fängt ja jetzt schon wieder an.“
Gold forderte eine präzisere Definition des Begriffs „Systemrelevanz“: „Wir sind keine Banken, wir sind nicht die Volkswirtschaft, aber wir sind unser Gesundheitssystem und das hat sehr gut funktioniert auch in Zeiten von Corona – nur, man kann halt einige Stellschrauben auch verbessern.“ Es stünde außer Frage, dass die Akteure der Hilfsmittelversorgung systemrelevant seien: „Die gesamte Hilfsmittelversorgung löst, wenn sie nicht konsequent und relevant bei den Patienten durchgeführt wird, Folgeerkrankungen aus. Zu dem Gesamtsystem in der Hilfsmittelversorgung gehören Therapeuten, Ärzte, Hersteller und auch Leistungserbringer vor Ort.“
Ebenfalls zur Sprache kamen die Verwaltungsvereinfachungen, die der GKV-Spitzenverband während der Corona-Pandemie formuliert hatte, um Leistungserbringer zu entlasten. Kiefer stellte in Aussicht, Teile dieser Vereinfachungen auch in Zukunft beizubehalten, denn: „Nicht jede Dokumentationspflicht bei einem unveränderten Zustand schafft für den Patienten einen Nutzen“. Es müsse jedoch differenziert überprüft werden, welche Maßnahmen des GKV-Spitzenverbandes das genau beträfe.
In Einem waren sich die Teilnehmer heute einig: Die Corona-Pandemie hat den Finger in die offenen Wunden des deutschen Gesundheitssystems gelegt. Hilfsmittelversorgung ist nicht nur von ökonomischer Seite aus zu betrachten – Qualität sei für das Wohl der Patienten essenziell. Dies betonte Reuter bereits heute Morgen.
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Redaktion

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