Darmerkrankungen und Inkontinenz vorbeugen

Im Rahmen der 24. United European Gastroenterology Week (UEG Week)(1) wurden aktuelle Konzepte für die Therapie chronisch‐entzündlicher Darmerkrankungen (CED) diskutiert: Um die Lebensqualität und die Prognose Betroffener zu verbessern, wird die Therapiestrategie des „treat‐to‐target“ mit frühzeitiger Therapieeskalation und engmaschiger Kontrolle von Symptomen, Entzündungsaktivität und Darmschädigung empfohlen. Langfristiges Ziel ist, mit Prävention und Therapie die Progression der Erkrankung zu verhindern.

Frühes Zeitfenster für Therapie nutzen
Wie Jean‐Frédéric Colombel aus New York erläuterte, werden chronisch‐entzündliche Darmerkrankungen oft als schubförmige Erkrankungen wahrgenommen, deren Symptome periodisch auftreten und wieder zurückgehen. Der erste Schub mit deutlicher Symptomatik ist meist auch der Zeitpunkt der Diagnose.(2) Colombel betonte, man dürfe nicht nur die meist schubartig auftretenden Symptome der Patienten sehen, sondern müsse auch die Darmschädigung im Blick haben, die progredient verlaufe und irreversible sei.(2) Das neue Konzept der CED‐Therapie bestehe darin, die Krankheitsprogression bereits im Zeitfenster der Frühphase der Erkrankung durch eine frühzeitige adäquate Therapie aufzuhalten und damit die Prognose der Patienten zu verbessern.

Therapieentscheidungen in der klinischen Praxis
Die große Schwierigkeit im Behandlungsalltag sei zu entscheiden, welche Patienten eine frühzeitige intensivierte Therapie brauchen und welche nicht, erläuterte Colombel. Ergebnisse aus vielen klinischen Studien liefern inzwischen Prädiktoren, die im klinischen Alltag Warnzeichen für einen schweren Verlauf und damit eine tendenziell frühzeitiger zu eskalierende Therapie darstellen.(3) Bei Morbus Crohn und bei Colitis ulcerosa zählen hierzu unter anderem das erstmalige Auftreten der Symptomatik in jungen Jahren, extensiver Darmbefall, eine fortschreitende Darmschädigung mit Ulzerationen oder häufige Schübe, die eine Hospitalisation und Steroidgabe bedingen. Solche Prädiktoren können dem Behandler Hinweise geben, um Patienten mit potentiell schwerem Verlauf frühzeitig zu identifizieren, diese dann entsprechend zu behandeln oder an spezialisierte Zentren zu überweisen.

Medikation auch nach Operation weiter erforderlich
Um die Lebensqualität von CED‐Patienten zu verbessern, müsse man den Erkrankungsverlauf modifizieren, betonte Prof. Laurent Peyrin‐Biroulet aus Nancy. Auch wenn operative Ansätze bei starker Symptomatik eine Option sind, zeigten Eingriffe wie die Pouch‐Operation bei Patienten mit Colitis ulcerosa nicht immer den gewünschten Effekt und bringen meist keine Heilung: Bei 39 % der Patienten traten im Langzeitverlauf Komplikationen auf wie Infektionen, Inkontinenz, Obstruktionen, Ileus oder Fisteln.(4) Viele Patienten benötigen laut Peyrin‐Biroulet auch nach einem operativen Eingriff weiter eine medikamentöse Therapie.

Schweregrad der Erkrankung neu definieren
Bei Patienten mit schlechter Prognose sollte die Therapie frühzeitig eskaliert werden. Peyrin‐Biroulet erläuterte, dass die meisten Behandlungsalgorithmen momentan auf klinischen Symptomen der Krankheitsaktivität basieren, obgleich z.B. die Schädigung der Mukosa bereits vor solchen für die Patienten spürbaren Symptomen einsetzt. Daher sei es extrem wichtig, zur Risikostratifizierung auch Faktoren wie die Entzündungslast und Komplikationen im Krankheitsverlauf einzubeziehen.(5) In den aktualisierten ECCO‐Leitlinien (European Crohn’s and Colitis Organisation) werden inzwischen Indikatoren einer entzündlichen Aktivität wie der CRP‐Wert stärker berücksichtigt.(6) Goldstandard für die Beurteilung der Entzündungslast bleibe laut Peyrin‐Biroulet die Endoskopie: „Läsionen in der Mukosa und eine Darmschädigung sind die wichtigsten Faktoren einer schweren Krankheitsaktivität bei Morbus Crohn.“ Auch bei Colitis ulcerosa gelten mukosale Läsionen als wichtigster Auslöser für die Symptomatik der Patienten. Der Einfluss dieser Faktoren auf die Prognose der Patienten wird momentan in verschiedenen Studien validiert. Bereits jetzt bieten diese Prädiktoren eine Basis für die Risikostratifizierung und eine personalisierte Behandlung der Betroffenen.

Frühe, tiefe klinische Remission entscheidend für Mukosaheilung
In der Therapie von CED steht die Lebensqualität der Patienten im Mittelpunkt: „Es ist Zeit, ambitionierter zu werden, um die Lebensqualität der Patienten und den Krankheitsverlauf zu verbessern“, appellierte Peyrin‐Biroulet an seine Kollegen. Ein personalisierter Behandlungsansatz, bei dem patientenrelevante Faktoren und Entzündungsaktivität engmaschig beobachtet werden, folgt der „treat‐to‐target“‐ Strategie: Bei Crohn‐Patienten wurden im Rahmen der STRIDEEmpfehlungen sowohl klinische Remission als auch endoskopische Remission als kombinierter Endpunkt definiert.(7) Eine engmaschige Kontrolle von Entzündungsmakern wie CRP oder Calprotectin plus eine frühzeitige Therapieeskalation seien demnach wirksame Ansätze für das Erreichen beider Endpunkte. Wie Peyrin‐Biroulet betonte, solle man die Mukosaheilung bei der Wahl der Therapiestrategie unbedingt mit einbeziehen.
Die Bedeutung der Mukosaheilung stellt auch in klinischen Studien mit CED‐Patienten einen wichtigen Parameter für ein nachhaltiges Ansprechen der antientzündlichen Therapie dar: In einer Studie mit dem TNF‐Inhibitor Adalimumab war die frühe, tiefe klinische Remission (klinische Wirksamkeit und Normalisierung der CRP‐Werte nach 12‐wöchiger Therapie) der stärkste Prädiktor für eine mittelfristige klinische Wirksamkeit und Mukosaheilung.(8) Die Suche nach weiteren Indikatoren für eine möglichst frühe Hemmung der Krankheitsaktivität und eine Prävention des Krankheitsprogresses geht weiter: Ziel ist, Patienten mit Prädisposition anhand von Biomarkern frühzeitig zu erkennen: „Die Prävention von CED ist das ultimative Ziel“, fasste Colombel als Ausblick in die Zukunft zusammen.